Münchner Filmzentrum
Frieda Grafe und die Nouvelle Vague / 4

 

Die Nouvelle Vague im Jahr 2000  (Fortsetzung)

Die Interviews mit den großen Filmemachern, eine Spezialität der gelben Cahiers, war zum Teil auch dadurch bedingt, dass durch das tragbare Magnetophon das, was gesagt worden war, sich auch niederschreiben ließ. Darüber hinaus aber wurden sie von Leuten gemacht, die ein besonderes Interesse an den Befragten hatten. Wie etwas gemacht war, wollten sie wissen – nicht die kümmerlichen Restäußerungen, die übrigblieben, seit Interviews nur noch bei Publicity-Tours gemacht werden. Rohmer und Chabrol haben daraus das erste Buch gemacht, über Hitchcock. Godard, seiner Neigung folgend, Dokumentarisches und Fiktion zu verbinden, hat sie in seinen Filmen praktiziert, in Vivre sa vie, in Une femme mariée. Die Schauspieler lässt er nur so weit eine Rolle spielen, dass der Zuschauer bei der Stange bleibt. Hauptsächlich liegt ihm daran, sie mit der Kamera zu befragen. Das hat er schon in Le Petit Soldat so gehalten und bis heute in immer neuen Varianten und Experimenten fortgesetzt. Seine Schweizer Filme sind dafür ein beredtes Beispiel – von dem noch kürzlich Tom Tykwer und seine rennende Lola profitieren.

Im Fernsehen haben Janine Bazin und André Labarthe mit Cinéastes de notre temps die in den gelben Cahiers begonnenen Befragungen fortgesetzt. Man sieht es an der Wahl der Autoren: Rivette interviewt ausführlich, an seinen ehemaligen Drehorten, Jean Renoir; Rohmer macht eine Sendung über Dreyer; Godard, in Le Dinosaure et Le Bébe, interviewt Fritz Lang; Jaques Rozier macht einen Film über Vigo.

Godard beklagt am lautesten, proportional zu seiner Passion fürs Kino, dass es dem Ende zugeht. „Der geist der Nouvelle Vague steckt immer noch in Godard, die Suche nach einem Stil, der nur sein eigener ist. Seine Kinoeffekte sind so persönlich, dass man sie ihm nicht vorwerfen kann.“ (Rohmer) Die neuen Medien, das Fernsehen allen voran, sind seine Totengräber. Die Nouvelle Vague war der Kehraus. Glaubt man Godard aufs Wort, dann hatte das Fernsehen seine Chance. 1962 war er noch voller Hoffnung, alles schien möglich: „Ich würde gern eine Art Essay-Sendung machen, Interviews oder Reiseberichte, über Maler und Schriftsteller, die ich mag, sprechen… Man muss das Fernsehen nicht als Ausdrucksmittel verstehen, sondern es zur Übermittlung gebrauchen.“ Letzteres sagt er bis heute: Das Fernsehen krankt daran, dass e, statt zu übermitteln, verbreitet. Es hat seine Chance nicht genutzt, weil es sich nicht die Zeit nahm, über sich nachzudenken. Wie Rozier es schon zu Beginn der Nouvelle Vague tat mit Adieu Philippine. Das Fernsehen hat mit seiner Linearität, mit seiner Plattheit den Zuschauer für Gleichzeitigkeit blind gemacht.

Sehr früh erkannte Rohmer, dass, seit der Film mit Ton ausgestattet war, das Fernsehen seine eigenen Möglichkeiten hatte. Er wartete ab, geduldig und hartnäckig. Erst machte er Schulfernsehen, was er durchaus nicht nur als Broterwerb ansah. Das Didaktische gehört für ich zum Dokumentarfilmgenre, zum Film. Durch das amerikanische Kino, das er durchsetzen half, neigte sich die Waage vom Text-, vom Drehbuchkino zum reinen Bilderkino. Die Fusion beider, was er in Anlehnung an Chauteaubriand le genie du cinéma nennt, versucht er in seinen Filmen. Bereitwillig und ohne Einschränkung gar er seine Filme ans Fernsehen. Er hatte überlegt, dass seine Sprache, dass seine Filme durch die Ausstrahlung nicht nur verlieren.

 

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