Münchner Filmzentrum
Filmkritiken von FRIEDA GRAFE zu Filmen aus der Patalas-Filmreihe / 1

 

Rote Sonne  (Rudolf Thome, BRD 1970)                SO, 14.7. um 18:30

 

Mitleid mit den Männern.                       

Panische Angst angesichts junger Mädchen, Proust-Leser werden sich erinnern: Dem Erzähler der macht sie zu schaffen. Wer amerikanische Film e kennt, vergisst die Gesichter der verhängnisvoll bösen Weiber nicht –, Stanwyck, Crawford, Hayworth – , denen man nie weiter als bis vor die Stirn schauen kann. Thomes Mädchen haben von beiden etwas, das macht sie reizvoll und auch ein wenig neu: Wir bringen Männer um. Schließlich haben sie es verdient. Keine von uns darf länger als fünf Tage mit einem gehen. Dann muss er tot sein. Wir machen das nicht aus Spaß.

Und das alles spielt in München und Umgebung. Man kennt jede Straße, jedes Haus, jedes Café. Außen kennt man alles. Drinnen, in der Wohnung der Sirenen, der Spinnen, herrschen andere Gesetze. Uni eingefärbte Wände, assortierte Bettwäsche, der Tag wird zur Nacht, Vorhänge halten das Licht draußen, am Abend führstückt man und sagt Guten Morgen.

Man erwarte keinen Emanzipationsfilm. Die Mädchen haben keine Theorien für ein besseres Leben der Frauen. Sie handeln so gut sie können. Sie spüren, es sollte sich was ändern. Sie versuchen, einen Anfang zu machen. Sie haben keine Botschaft zu vermitteln, nichts Neues zu bieten, sie verschieben nur Bekanntes. Sie übernehmen Männerrollen: sie fesseln, sie schießen, sie machen sich stur Prinzipien. Das führt dann zu bekannten Krimiszenen: die Gangster, die endlich ihre aussichtslose Lage begriffen haben, lassen alle Vorsicht fahren und ballern wild um sich herum. Schließlich muss das Gros der Personen am Schluss tot sein, damit der Film im sinn der Geschichte, dass das Verbrechen sich nicht auszahlt, enden kann. Hier sind es nun drei deutsche Taxis und drei Mädchen. Umgelegt wird die, die das Unternehmen gefährdete. Sie hatte Mitleid mit den Männern.

Das klingt hart und malt die Zukunft der Männer in düsteren Farben. So scheint es nur. Genau besehen ist dieser Film ein reiner Männertraum. Die Spielregeln der Mädchen sind keine Gesetze. Die Mädchen schlafen wahllos mit Männern, aber sie glauben an die große Liebe. Und die beschreibt der Film. Die Mädchen Männer spielen zu lassen, ist ein rührender Trick; wie Kinder, die im Dunkeln singen. Das Unbekannte wird domestiziert, indem es zum Gleichen gemacht wird. Dabei wäre es anders herum viel einfacher; man müsste sich nur entschließen, mit der Verschiedenheit zu leben.

Aber das ist ein trivialer Vorschlag, weil er genau das tut, was der Film nicht will, Lebensregeln geben. Er spielt an der Stelle, wo Realität und Fiktion sich vermischen; er zeigt, wie sie zusammenhängen und voneinander leben. Gerade deshalb auch die entschiedene Markierung von Innen und Außen. Und nochmal: der Film ist eine Traum und Träume »denken nicht, rechnen nicht, urteilen überhaupt nicht, sie beschränken sich darauf umzuformen«. Ein Teil der Geschichte des Films, das Komplott der Mädchen, demonstriert, überdreht, die Willkürlichkeit klassisch realistischer Geschichten, die nur eins im Kopf haben, so zu erscheinen wie die Realität. Der Film macht immer wieder Anläufe, so Geschichten zu erzählen ((»am besten fangen wir mal mit deinem Lebenslauf an«). Aber es bleiben Anläufe, denen gleich die Feststellung folgt, alles sei klar, folglich gäbe es nichts zu erzählen.

Denen, die dem Film vorwerfen, dass er ein Nichts sei, ist entgangen, dass er ein inszenierter Fehlschlag ist, der sich zusammensetzt aus vielen kleinen Unternehmen, die alle zu nichts führen. Es bleibt kein Mehrwert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei der Generalprobe einmal ein von den Mädchen fabrizierter Sprengkörper tatsächlich explodiert. Eben, es knallt zur Unzeit.

Als Warnung? Diese Gangstermädchen sind zu kleinen Teilen Prousts gackernde, kichernde Mädchen, steif und absolut in ihren Forderungen, noch nicht weich und nachsichtig gemacht durch Erfahrung, nicht beriet, Dinge zu verbrämen. Mit schönen Geschichten: » Ich weiß eine schöne Geschichte, aber sie fällt mir im Augenblick nicht ein.« Filme, die Geschichten erzählen, leben leichter, weil sie vertuschen, durch Kontinuität, dass sie anders sind als das Leben. In diesem Film sterben alle daran, dass sie die Geschichten satt haben und das Leben wollen. Dennoch: der Film erzählt seine Geschichte, um den unausweichlichen Moment hinauszuzögern, in dem man sich mit einer Realität abgeben muss, die man nicht will, so wie sie ist.

Wenn Frauen über Filme schreiben, die Männer über Frauen machen, sollte man dem Geschriebenen so wenig trauen wie dem Gefilmten – je nachdem, ob man Mann oder Frau ist.

 

Rote Sonne. BR Deutschland 1970. Produktion: Independent. Regie: Rudolf Thome. Buch: Max Zihlmann. Kamera: Bernd Fiedler. Darsteller: Marquard Bohm, Uschi Obermeier, Diana Körner, Gaby Go, Sylvia Kekulé, Peter Moland, Hark Bohm.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 27. Jahrgang, Nr. 50, 27.2.1971

 

Der Text ist der folgenden Publikation entnommen:

Frieda Grafe. Ausgewählte Schriften in 12 Bänden. Herausgegeben

von Enno Patalas. Band 9: Film für Film, Seite 118 – 120.

Brinkmann & Bose Verlag, Berlin (2006).

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.