Münchner Filmzentrum
Filmkritiken von FRIEDA GRAFE zu Filmen aus der Patalas-Filmreihe / 2

 

I Know the Way to the Hofbräuhaus                              SO, 21.7. um 18:30

(Herbert Achternbusch, BRD 1991)         

Vorfilm: Die Erbschaft mit Karl Valentin von Jakob Geis (DE 1936, 21 min.).

Leider gibt  es zum Hofbräuhaus-Film keine Kritik von Friedas Grafe. Sie verfasste allerdings einen Text zu seinem Film Bierkampf von 1977, in dem sie Achternbuschs einzigartige Herangehensweise als schreibender Filmemacher sehr schön beschrieben hat. Was seine komischen Talente angeht, stellte Grafe Achternbusch in eine Reihe mit den ganz Großen, z.B. Groucho Marx und Charlie Chaplin.

 

Bierkampf   (Herbert Achternbusch, BRD 1977)           SO, 5.5.2019 um 21:00

Da fielen Kirchweih und Fasching auf einen Tag

Zwei Filme und schon ein Image. Achternbusch hat es geschafft: Er ist der bayerische Bierbarde. Der Burroughs der blauweißen Droge. Die Filmfreunde nördlich der Donau sind beunruhigt. Der junge deutsche Film ringt um Weltgeltung und da sagt im Süden einer, seine Provinz als Betätigungsfeld genüge ihm.

Zur Bühne, zum Schauplatz das Oktoberfest zu nehmen, grenzt bei einem Anfängerregisseur schon an Größenwahn. Der Mangel an Professionalität, das schlecht Gemachte der ersten beiden Filme ging dabei notgedrungen verloren. Einen Fiktionsfilm zu drehen auf einem solchen Gelände, mit den Bierhallen als Studios, das verlangt Monumentalfilmregie und gleichzeitig alle Tricks und Mobilität des direkten Kinos. Die vielköpfige, vielstimme, gesichtslose, bierselige Menge, von der hebt sich in immer neuen Aufschwüngen Achternbuschs Geschichte ab. Seine weiblichen Hauptrollen bleiben einem im Gedächtnis wie Porträts auf Medaillons, sehr konzentriert.

Melodramatisch süß wie bei Griffith. Sie singen auch. Küchenlieder, Kirchenlieder, Schwanengesänge. Es herrscht eine seltsame Spannung zwischen der breiigen Ungeformtheit des ganzen großen Drehorts und so vielen pittoresken Einzelheiten. Die volkstümlichen Formen mit ihren ordentlichen Konturen und eindeutigen Farben,. Alls das Blauweiße, die Brezn, die Dirndl, die Blasmusik und ganz unpassenderweise auch noch die ehern grüne Bavaria prägen sich ein wie ein Épinal-Bilderbogen und entwickeln zusammen mit der Massenhaftigkeit des Volksvergnügens eine Aggressivität, die sich gegen das offiziell Kulturelle richtet. Die Dialoge klingen gedrechselt, weil sie richtiger Dialekt sind. Unter den Sätzen rumort haarsträubender Nonsens wie bei Valentin.

Achternbusch spielt in seinen Filmen die erste Rolle, die größte, will ich sagen. Er provoziert Bilder für die Kamera auf denkbar einfachste Weise. Er hat sich eine Polizistenuniform angezogen. Als vor einigen Jahren lange Haare auch für Uniformträger zulässig wurden, da muss die Glaubwürdigkeit der Staatsgewalt auch bei uns an distanzierender Würde verloren haben. Achternbusch mit schüchternen Augen und abstehenden Borsten, als Aufpasser, der gespannt registriert, zwischen den Biertischen patrouillierend, ist ein Polizist wie du und ich, ein Münchner Polizist, einer mit Herz. Den Besoffenen macht er keine Angst, und die Frauen verdrehen für ich die Augen und die Schläger dreschen auf ihn ein.

 

Heimathassliebe

»Man sollte ein Mädchenkleid genauso ernst nehmen wie eine Uniform.« Wie gut er gesehen hat, womit wir unsere Identität zusammenhalten, das Innerste nach außen kehren. Wie wir mit dem Leben spielen. Das Polizistenkostüm bei Achternbusch

ist mehr als ein Prüfstein für Realitäten, die das Kino hervorlocken kann. Es spielt eine Rolle in der Geschichte. Einmal möchte er wer sein, der Kruzifix, der blutige, sagt seine Frau von ihm. Zum Schluss des Films liegt die Figur in der Uniform tot da, mit dem Gesicht im Sägemehl. Das Fest, der Karneval, die Zeit der anderen Gesetze ist vorbei. Die Festwiese hat ihre eigene Ordnung. Sie ist ein Ausnahmezustand. Jeden Einzelnen siehst, wie es ihn erwischt, sagt der Zigarettenverkäufer, der die Rolle spielt, die durch Jahrzehnte Herbers eigene, realiter, war.

Achternbusch ist ein Schreiber, der das Kino liebt – nicht eine von diesen Hyänen, die keinen Funken mehr aus der Sprache herausschinden können und sich einfach aufs Kino verlegen, weil sie dunkel dort eine Vitalität spüren. »Aus deinen Augen würde ich manchmal gern herausschauen. Ein jeder ist froh, wenn er einen anderen ein wenig im eigenen Gesicht hat« Achternbusch weiß, was das Kino seiner Existenz bedeutet. Meerstern ich dich grüße!

Der Film ist auch sein Traum vom großen Publikum. Vom Publikum, das spielt, das mitspielt. Die Grenze zwischen ihm, der sich produziert, dem Narren, dem Faxenmacher, und den Zuschauern ist gefallen. Sie berühren einander ganz einfach, ohne alle Kommunikationsprobleme. Das Geheimnis dahinter ist: Zwei immer sorgfältig getrennt gehaltene Systeme, die Fiktion und die Realität, greifen ineinander.

Bei Achternbusch muss man alles wörtlich nehmen. Ein Autor taucht ein in die Menge, ein Schreiber in Uniform, ein Unruhe stiftender Ordnungshüter demonstriert, was es heißt, Erfinder von Geschichten zu sein. Das ist Arbeit ohne Konzession. Amtsanmaßung. Von der dauernden Manipulation der Identitäten anderer zu leben, in jede neue Figur zu schlüpfen. Bis es ihn schließlich selbst nicht mehr gibt. Bis man grünlichweiß wird wie eine Bierleiche oder mondscheinhaft fahl wie ein Clownsgesicht.

Er, Achternbusch, der Schreiber, darf durch das Kino sich zu erkennen geben. Wer ganz Reales sein in seiner eigenen Fiktion! Er macht sich bemerkbar, er trifft hinter dem Spiegel hervor. Der Autor runder, definitiver Charaktere, der Romanautor, war ein Produkt der bürgerlichen Literatur. Achternbusch, der mit seiner Subjektivität ostentativ umgeht, macht paradoxerweise seine Erfindungen dadurch unindividueller, anonymer. In seinen Sätzen lässt er die anderen mitreden, seine Sprache spricht er mit anderen gemeinsam.

Was ist schon ein Schreibtischmörder verglichen mit einem, der sich in ein Bierzelt hineintraut, um sich herum die Menge, hinter sich die Kamera. Da ist es aus mit dem Spiel in einer Richtung. »Dieser gewagte Gang ins Innere, zu den Massen, der Versuch mit ihnen was zu tun zu haben. Nie war ich so in meinem Körper, nie so eins.«

Oktoberfest, Hölle und Paradies. Mit langen Schritten schleicht Achternbusch durchs Gewühl: Groucho. Liebenswürdig und bösartig listig verschwindet er immer wieder klein am Horizont der langen Bierstraßen: Chaplin. Verwandtschaftsbeziehungen dienen ihm als Mittel, der Sprache hinter die Logik zu kommen: Valentin. »Ein wenig wenn sie anders aussähen, könnte ich sie gar nicht mehr erkennen.«

Ein Polizist macht noch nicht die Keystone Cops, Mack Sennetts berühmte Paradetruppe. Aber uniformierte Ordnungshüter haben im Kino von den Anfängen an ihre feste Rolle. Zur Verhöhnung der Ordnung. Sich lachend ihrer Übermacht entledigen. Auch gab es bei den frühe Filmkomödien keinen Autor. Gagmen gab es und jede Eigenart, die ein natürlicher Schauplatz bot, war gerade recht, um zu einem neuen Film zu kommen. Die Gefahren bei der Arbeit waren die der Realität. Wenn der Jux im Bierkampf umschlägt in Ernst, wenn die Mitspieler plötzlich aussteigen und echte Widersacher werden, dann verdrückt der Polizist sich schnell und sucht unter den Biertischen Zuflucht. Mit ängstlich aufgeregten Augen hin- und hergerissen. Die Umgebung bestaunend, die ich so prägte, so verschieden machte. Aber von allen. Bayern hat ihn ausgesetzt.

 

Bierkampf. BR Deutschland 1976. Produktion: Herbert Achternbusch / ZDF. Regie und Buch: Herbert Achternbusch. Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein. Darsteller: Herbert Achternbusch, Annamirl Bierbichler, Sepp Bierbichler, Heinz Braun, Gerda Achternbusch, Margarethe von Trotta.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 33. Jahrgang, Nr. 58, 11.3.1977

 

 

Der Text ist der folgenden Publikation entnommen:

Frieda Grafe. Ausgewählte Schriften in 12 Bänden. Herausgegeben

von Enno Patalas. Band 9: Film für Film, Seite 130 – 132.

Brinkmann & Bose Verlag, Berlin (2006).

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.