Münchner Filmzentrum
Frieda Grafe und die Nouvelle Vague

„La Chinoise“ von Jean-Luc Godard auf dem Cover der Zeitschrift Filmkritik 1/1968   [ Foto: Zillmann ]

 

Wenn der Hahn kräht. Die Nouvelle Vague im Jahr 2000

Nicht um die Uhren zurückzudrehen, mehr der Erinnerung wegen – als die Beschreibungen und die Bezeichnungen noch frisch waren und die Veränderungen sich anbahnten, die man zu fassen suchte: Die Nouvelle Vague hat ihre Vorläufer. Einige von deren Methoden werden immer dann gebraucht, wenn ein Generationswechsel ansteht,. weil die Installierten mit ihren zu Regeln gewordenen Gewohnheiten den Jungen hinderlich sind.

Die Befreiung vom Studio, stellt Karl Freund fest – er war der Kameramann von Murnau, Lang, Dupont – , jubilierend, ging aus von den Filmemachern der Sowjetunion. Gedächtnis, mémoire, ist nur ein Wort, sagt Godard, das aus dem Griechischen kommt und dort Geschichte heißt. Zum Verständnis der Geschichte der Nouvelle Vague ist es hilfreich, ein Interview aus dem Jahre 1929 heranzuziehen, mit Karl Freund in Close-up, der englischen Filmzeitschrift. Es legt eine Spur. Freund spricht von Berlin, die Sinfonie der Großstadt; der Name des Regisseurs, Ruttmann, fällt gar nicht. Freund verweist für den Anstoß, ohne Licht und Studio fast nur auf der Straße du mit kleinstmöglichem Team zu drehen, auf das Modell der Russen. Auf sie bezieht sich auch Leni Riefenstahl, nicht nur der Rechtfertigung, auch der Technik, der Methode wegen. Das blaue Licht ist nicht viel anders entstanden – nur dass man damals Kollektivfilm sagte – als die ersten Filme der Nouvelle Vague; deren Gegner sprachen dann von Vetternwirtschaft. Das Licht in Hollywood kam aus Berlin, sagt Nestor Almendros, der seit Paris vu par… Eric Rohmer als Kameramann diente, später auch Truffaut.

Raoul Coutard, dessen Name sich zu allererst an Godard bindet, hält ihm bis heute die Treue: „Von allen Filmern der Nouvelle Vague ist er der einzige, der nicht von seinen Kinoexperimenten ablässt.“ Nicht um Godards Verdienste zu schmälern, sondern uns zur besseren Erinnerung, wie sehr das Kino ein Kollektivunternehmen ist, verweist er auf Georges de Beauregard, den Produzenten auch von A bout de souffle, der ihn, Coutard, dem Regisseur Godard vorschlug, weil er für ihn mit Pierre Schoendorffer zwei Filme in Indochina gedreht hatte, also erfahren war mit Reportagebedingungen, mit schwierigen Drehsituationen. Von ihm ist auch die Feststellung, die sicher mit Coutards Bescheidenheit zu tun hat, dass das, was als Erfindung der Nouvelle Vague gilt, hauptsächlich Notlösungen waren. Wenn A bout de souffle den Filmen der Nouvelle Vague nicht den Weg geebnet hätte, das Fernsehen jedenfalls seine Lösungen und Veränderungen hervorgebracht hätte.

 

««« zurück zur Auswahlseite                                          »»» weiter zu Seite 2

 

 

Der Text ist der folgenden Publikation entnommen:

Frieda Grafe. Ausgewählte Schriften in 12 Bänden. Herausgber: Enno Patalas.

Band 3: Nur das Kino40 Jahre mit der Nouvelle Vague, S. 168 – 173.

Brinkmann & Bose Verlag, Berlin (2005).

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.