Münchner Filmzentrum
ENNO PATALAS

Der Filmhistoriker und - kritiker

Die Zeitschrift Filmkritik - Organ von Kinomanen?

„ Man hat sehen zu lernen, man hat denken zu lernen, man hat sprechen zu lernen und schreiben zu lernen …-“, dieses Nietzsche Zitat aus „Was den Deutschen abgeht“ entlehnte Enno Patalas 1968 als Vorspann für seinen Text  „Die toten Augen“ in der Filmkritik. Es wurde das Motto seines Lebens.

Angefangen hatte Enno Patalas, als 21-jähriger Student der Publizistik bei Walter Hagemann an der Münsteraner Universität, 1950 mit der  Gründung eines Studenten-Filmclubs. Zu seinen prägenden Begegnungen gehörten die Filme Charlie Chaplins, der Neorealisten, deutsche Stummfilme wie Caligari. Seine ersten Filmkritiken erschienen im Düsseldorfer Mittag (PS. Benjamin S. Eichsfelden) und im filmforum in Emsdetten b. Münster. Seinen ersten,  nach drei Nummern gestorbenen Zeitschriften film 56 und Film 58, folgte  kurz darauf ein nächster Versuch, die  mit Clubmitgliedern ( Wilfried Berghahn, Ulrich Gregor und Theodor Kotulla)  gegründete und in Frankfurt/Main erscheinende neue Zeitschrift Filmkritik (1957-1984), deren Münchner Redaktion er sich – seit 1956 in München – mit Berghahn ab 1961 teilte. Über die Jahre zählten zu deren ständigen Mitarbeitern Helmut Färber, Uwe Nettelbeck, Martin Ripkens, Heinz Ungureit, Herbert Linder, Hans Stempel und Wolf Eckhart Bühler.

Die Filmkritik trat vor ihre Leser mit dem Anspruch, dem Film als Kommentar zur gesellschaftlichen Realität auf den Zahn zu fühlen. Diese deutsche Nachkriegsgeneration suchte – vermittelt durch Adorno, Horkheimer und Benjamin  – Vorbilder bei emigrierten Filmautor*Innen wie Lotte Eisner und  Siegfried Kracauer und den nach dem zweiten Weltkrieg erstmals wieder in Europa filmenden Regisseuren Fritz Lang oder Billy Wilder. Für ihre anfänglich unter dem Einfluss der Frankfurter Schule soziologische Betrachtungsweise von den „Jungen“ verehrt, von der Reaktion dagegen als linkes Streitblatt geschmäht, trat die Zeitschrift  den Kampf gegen „Papas Kino“ der Adenauerzeit und sein Nachkriegspublikum an, dass es sich vor dem Fernseher bequem zu machen schien und Filme nur noch konsumierte. Zu Beginn bilderlos, wurde die Filmkritik mit ihren Filmbesprechungen,  ~Essays und ~Analysen zur Pflichtlektüre für Cinephile und Filminteressierte, die sich von der Unterhaltungsliteratur der Nachkriegszeit intellektuell unterfordert fühlten und das französische und italienische Kino wie die von den Nationalsozialisten vertriebenen Filmschaffenden der Weimarer Zeit für sich entdeckte, die sie nur aus Lektüren französischer und englischsprachiger Autoren kannte.

Bis Ende der 1950er Jahre hatten sich die Kinos in Deutschland auf die Zahl von 7000 erhöht, aber im Vergleich zu diesen hatte sich die Zahl der Produktionen –  laut Spiegel – bis 1962 halbiert und sanken die Zuschauerzahlen  innerhalb von 5 Jahren um 40 Prozent und schlossen jährlich 300 Kinos (Der Spiegel, Nr.53, 25.12.1967, S.88). 1963 kennzeichnete Patalas diese „Krise des Films“, das Phänomen eines „rapiden“ Rückgangs des Kinobesuchs und leerer Kinosäle als Folge der Neuen Ökonomie, der technischen Innovationen, gesellschaftlichen Umbrüche und des Generationswechsels (Neue Rundschau (1/1963). Das „Kino um die Ecke“ mit seiner Aufgabe als Traumfabrikant ferner Welten und Glücksversprechen hatte das Fernsehen abgelöst, auf das die Filmindustrie Hollywoods mit Bunt- und Breitwandfilmen, aufwendigen Kostüm- und Historienspektakeln antwortete. Aber auf dem europäischen Markt wurden dagegen unerwartet  Filme wie  Citizen Cane, Letztes Jahr in Marienbad, Die Nacht oder Wilde Erdbeeren zu Publikumslieblingen, für Patalas eine große Chance der Filmkunst“ (Neue Rundschau,1/1963, S.19).

1962 heiratete Patalas seine Studienfreundin Frieda Grafe, die nach dem Paris-Studium über die Jahre bis 1973 in der Filmkritik allein 122 Artikel veröffentlichte, der Ehepartner brachte es im gleichen Zeitraum auf 743, diese gelegentlich in Ko-Autorenschaft mit Grafe. Fruchtbare Jahre, in denen Patalas auch für zahlreiche andere Zeitungen und Zeitschriften wie  die Frankfurter Hefte, Der Monat, Neue Rundschau, Süddeutsche Zeitung , Die Zeit und Der Spiegel schrieb. Außerdem gab er bei Suhrkamp in der Spectaculum-Reihe 1961 bis 1964 „Texte  moderner Filme“ – u.a. zu Lola Montez – heraus. Von 1962 bis 1968 erschienen zudem „Ausgewählte Filmtexte“ in der Reihe Cinemathek mit 24 Bänden und nebenbei betreute er 1967 auch eine Kolumne  in der Satire- Zeitschrift Konkret. Patalas/Grafe  bildeten gemeinsam eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, ein „Dream-Team“, das sich ideal ergänzte. Beide gehörten schon bald zu den bekanntesten Filmjournalisten des Landes, mit ihren filmtheoretischen Essays, Filmanalysen und den Festivalberichten aus Cannes und Venedig  in den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen präsent sowie in einer Vielzahl weiterer Medien wie Hörfunk und Fernsehen. Filmbücher wie die nach 1962 erschienene dreibändige Geschichte des Films, die Patalas mit Ulrich Gregor herausgab (überarbeitet 1973,  1976) wurden zu Standardwerken und spätere Publikationen zu einzelnen Regisseuren (Lubitsch, Renoir, Hitchcock, Lang, Murnau, Woody Allen, Godard u.a.) festigten ihren herausragenden Ruf als Filmexperten ebenso wie ihre Filmessays Im Off , die gesammelt 1964-1974 publiziert wurden. Sie verfassten regelmäßig Filmbesprechungen, Frieda Grafe ab Ende der 1970er Jahre bis 1986  filmtips in der Süddeutschen Zeitung. Neben seinen Büchern übersetzte Enno Patalas gemeinsam mit Frieda Grafe Bücher aus dem Französischer und Englischen zu den Regisseuren Truffaut, Renoir, Bunuel und Rohmer und Grafe auch zwei zu Godard. Zusammen veröffentlichten sie in der Carl Hanser Reihe Film: Fritz Lang, dem sie wie auch anderen persönlich begegneten.

Zur Zäsur für die Filmkritik kam es 1969 bei den Oberhausener Kurzfilmtagen,  als sich einige Mitarbeiter von der Redaktion trennten, wegen deren Nähe zur Nouvelle Vague  und dem  Strukturalismus. Auf Patalas Vorschlag schloss sich ein Teil zu einer Münchner Autorengesellschaft als ‚selbstbestimmtes Organ der Mitarbeiter‘ zusammen, die sich „Filmkritiker Kooperative“ nannte. Zweck der Initiative war es „eine Monatsschrift herauszugeben, die von ihren Autoren in eigener, persönlicher und gemeinsamer Verantwortung verfasst und redigiert wird“ (Thomas Brandlmeier in: Kinofronten, 1988, S.54) heißt es in § 1.1 ihrer Statuten, einer demokratischen Verfassung. Patalas sah aber den Prozess der Dissidenz in u.a. politische und  strukturalistische Ansätze voraus, die sich in den kommenden Jahren in der Filmkritik abzeichneten und mit den Münchnern Sensibilisten, der sogenannten „ästhetischen Linken“ (Patalas), konkurrierten. Als die Auseinandersetzungen um die Konzepte kulminierten, führte dies 1974 zum Austritt seiner Gruppe. Die Differenzen bildeten nur spiegelbildlich eine ins Taumeln geratene allegmeine Verfasstheit der Gesellschaft wider, für die die 68’er Bewegung nur ein Symptom war, die nach Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen suchte, auch unter Zuhilfenahme von Ideologien.

1973, mit seiner Ernennung zum Leiter des anfänglich „Photo- und Filmmuseum“ genannten,  das später als „Filmmuseum München“ firmierte ,  hatte Patalas ein neues Forum für Öffentlichkeitsarbeit gefunden. Neben Gastauftritten in Spielfilmen der Jungfilmer und Beteiligungen an Kurzfilmen entstanden in Zusammenarbeit mit Frieda Grafe auch einige Fernsehporträts , u.a. über Lubitsch, Sternberg, Vigo und Renoir vornehmlich für den WDR. Er berichtete weiterhin über Filmfestivals in u. a.  Cannes, Venedig oder Pordenone, wo er seine Restaurierungen  präsentierte,  publizierte eine viel beachtete Biographie über Alfred Hitchcock, war als Gastredner und als Diskutant auf Podien gefragt. Eine neue Ära begann als Museumsleiter und Restaurator, die erforderte, die Institution nach außen zu vertreten.

Gegen Ende seiner aktiven Zeit als Filmuseumsleiter,  häuften sich die Ehrungen und Preise: u.a. 1989 Chevalier des Arts et des Lettres, 1990 Jean-Mitry-Preis, Pordenone –Festival, 1993 Löwenphote, Erster Münchner Großstadtpreis, Deutscher Filmpreis in Gold, 1994 Officier  des Arts et des Lettres, Anthologie Archives Award , New York, Bundesverdienstkreuz I. Kl., 1995 Helmut Käutner-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf) und Nel Novikoff-Preis des San Francisco International Film Festival. Bis zu seinem Ausscheiden 1994 konnte er den Wunsch nach einem zweiten Kinosaal nicht realisieren.
 
Literaturhinweise:

Wilfried Berghahn: Zum Selbstverständnis der „Filmkritik“, in: Filmkritik, Nr. 1/64; Enno Patalas: Pädayer für die Ästhetische Linke. Untertitel: Zum Selbstverständnis der „Filmkritik“ II.] , in: Filmkritik, Nr.7, 1966, S. 403-407

50 Jahre Filmmuseum München, Filmmuseum MünchenMFZ e.V. 2013

Reprint Filmkritik, (I) 1957 bis 1961, (II) 1962 bis1963, (III) 1964 bis1965 , IV…..fff, Filmkritik Register 1957-1974, erstellt von Franz Josef Knape,
hrsg. von der Filmkritiker Kooperative, München 1975

Claudius Seidl, Eine Kinemathek, die Weltruf genießt,
in: Süddeutsche Zeitung, 12./13. 8.1987

Doppelleben. Frieda Grafe und Enno Patalas. Arbeitsdaten und Zeugnisse.
Herausgegeben von der Hochschule der Künste Berlin zu dem 01  Award 2000

 

[ Text: Brigitte Bruns ]

 

2. Enno Patalas als Leiter des Filmmuseums

3. Enno Patalas und das Münchner Filmzentrum (MFZ)