Münchner Filmzentrum
Rumänisches Filmfest 2022 – Ehrung

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[ Judith State erhält den Schauspielpreis 2022 ] – Portrait und Interview

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Wie viele Kinder, die mit unbändigem Spaß und großer Leichtigkeit in fremde
Rollen schlüpfen, bekam auch schon die kleine Judith von Freunden und Familie
öfters mal gesagt, sie werde später sicher einmal Schauspielerin werden.

Trotzdem war es nicht unbedingt abzusehen, dass sie irgendwann beim Film landen
würde. Ihre ganz große Liebe galt nämlich erst einmal dem Tanz – und diesen Traum
verfolgte sie mit großer Entschlossenheit und Zielstrebigkeit: Bereits als Teenager zog
sie alleine nach Bacău, um dort eine klassische Ballett-Ausbildung zu absolvieren.

Es folgten herausfordernde Jahre als Tänzerin mit Stationen im Ausland, darunter
New York (Stipendium am Broadway Dance Center), Wien und auch Berlin. State
studierte Choreographie und betätigte sich als Tanzpädagogin, auch außerhalb
Rumäniens. Da lag es nahe, auch noch ein Sprachenstudium drauf zu setzen
(Englisch und Spanisch) – selbstverständlich, ohne das Tanzen aufzugeben.

2015 wurde State überraschend von der Casting-Agentin Simona Ghiță angefragt –
und landete prompt in Cristi Puius Meisterwerk „Sieranevada“ – eine Zusammen-
arbeit, die State später als eine Art „Initiationserlebnis“ im Hinblick auf ihre
Entwicklung zur Schauspielerin beschreiben sollte.

In der Schauspielerei fand sie neue kreative Freiräume und Möglichkeiten, sich
als Mensch und Künstlerin organisch weiter zu entwickeln. Sie spüre im Schauspiel
eine enorme Freiheit, die sie im Tanz in dieser Form bislang nicht erlebt habe, sagte
sie bei einem Q&A im Filmmuseum während des Rumänischen Filmfestivals.

Während sie beim Tanzen sehr selbstkritisch und letztlich nie wirklich ganz zufrieden
mit ihrer Leistung sei, spüre sie bei der Filmarbeit nicht diesen Druck zur Perfektion.
Am Set hinterfrage sie nicht jedes Detail, sondern gehe ganz in der Team-Arbeit auf –
und fühle sich beschenkt, wenn der Regisseur am Ende zufrieden ist.

State ist eine „Instinkt“-Schauspielerin, die sich wohl auch sonst viel von ihrer
Intuition leiten lässt. Für den Film „R.M.N.“ war sie sofort „Feuer und Flamme“ –
obwohl sie das Drehbuch vorab nicht vollständig zu lesen bekam. Zum Einen
hat sie die Zusammenarbeit mit Cristian Mungiu interessiert, der mit „4 Monate,
3 Wochen und 2 Tage“ in Cannes 2007 die „Goldene Palme“ bekommen und damit –
neben Altersgenossen wie Cristi Puiu und Corneliu Porumboiu – die „Neue Welle
der rumänischen Kinos“ mit eingeläutet hatte.

Zum Anderen hatte die Siebenbürgerin hier erstmals die Möglichkeit, in einem Film
– neben Rumänisch – auch ihre ungarische Muttersprache zu sprechen. Und das in
einem kleinen Dorf ganz in der Nähe ihres Geburtsortes. Ihre Rolle – die Protago-
nistin Csilla – war komplex, Mungius Arbeitsweise völlig neu für sie, die Arbeits-
bedingungen unter Covid-19 nicht einfach. State nahm die Herausforderung
dennoch an – und lieferte eine brilliante Leistung ab.

Auf dem Rumänischen Filmfestival in München gewann „R.M.N.“ den Pubikumspreis.
Auf dem 2. Platz sahen die Zuschauer*innen „Rondul de Noapte“ (2021) von Iosif
Demian, in dem Judith zufällig auch mitspielt. Die Rolle der „Charlie“ schrieb ihr
Demian sprichwörtlich auf den Leib – er ließ sie eine Tanz-Szene spielen, für die
sie selbst die Choreographie kreiert hatte.

Zuletzt arbeitete Judith State mit dem ungarischen Regisseur György Kristóf an
einem dystopischen Science-Fiction-Film, der allein mit den Mitteln des Tanzes
arbeitet: Anstatt mit Worten erzählt „Zenith“ seine Geschichte mit ausdrucks-
starken Bewegungen – ein mutiges Experiment mit ungewissem Ausgang, aber
hohem persönlichem „Glücksfaktor“: Nicht nur konnte sie bei diesem Projekt
ein Stück weit auf den Spuren von Pina Bausch wandeln, der von ihr verehrten
Pionierin des Tanztheaters – sie konnte dabei auch Ihre beiden „Lieben“ –
Tanz und Film – auf ganz neue Art zusammen bringen.

Das Wort „schwierig“ scheint in Judith States Welt nicht zu existieren.
Stattdessen: Neugier und Leidenschaft. Der Drang, immer weiter an sich zu
arbeiten und neue Herausforderungen zu wagen. Bodenständig bleiben.

Seit 2019 hat die Wahl-Bukaresterin acht Filme und mehrere Kurzfilme gedreht.
Für ihren ersten Film „Sieranevada“ erhielt sie 2016 eine Nominierung als Beste
Nebendarstellerin für den GOPO, den „rumänischen Oscar“. 2019 gewann sie ihn
dann für die Hauptrolle in „Monstri“ von Marius Olteanu. Angesichts ihres bisheri-
gen Wegs darf man darauf gespannt sein, was wir in den nächsten Jahren noch
von ihr zu sehen bekommen werden. Feststeht: Wer Judith State einmal auf der
großen Leinwand erlebt hat, wird ihren Namen nicht so schnell wieder vergessen.

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Filmographie 2019 – 2022

2019 —- Monstri (Monsters) | Regie + DB: Marius Olteanu
2020 —- Malmkrog | Regie + DB: Cristi Puiu
2020 —- 9 povesti de dragoste si ura in izolare | Regie + DB: Dan Chisu
2021 —- The Father who moved Mountains | Regie + DB: Daniel Sandu
2021 —- Rondul de Noapte (Night Patrol) | Regie + DB + K: Iosif Demian
2022 —- R.M.N. | Regie + DB: Cristian Mungiu
2022 —- Refuge | Regie + DB + K: Liviu Mărghidan
2022 —- Zenith | Regie + DB (Co-Autor): György Kristóf
 

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[ Photo: Judith State als Csilla in „R.M.N.“ von Cristian Mungiu (2022) ]

[ Photo-Credit: Edmund Fota (ge-fo-rum) ]

[ Text & Interview: Idún Zillmann ] — 19.11.2022