Münchner Filmzentrum
  1. Neue Filmreihe:
    DEFA: Die besten Jahre

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    „Das Kaninchen bin ich“ (1965/1990) von Kurt Maetzig


    Die Babelsberger DEFA zwischen 1960 und 1970

    Die 1960er-Jahre waren das spannendste Jahrzehnt der DEFA. Eine junge Generation von Filmemachern wagte sich an schwierige gesellschaftliche Fragen und suchte zugleich nach neuen formalen Mitteln. Sie wollte die aus Ufa-Zeiten ererbte ideelle und ästhetische Behäbigkeit der Babelsberger Filmfabrik abschütteln und wandte sich im selben Atemzug von dem in Köpfen und Herzen durchaus präsenten Stalinismus ab. Im Schatten der Mauer, mit deren Bau im August 1961 begonnen worden war und in deren Folge die Hoffnung aufkeimte, unabhängig von den Einflüssen des Westens freier und offener über eigene Probleme reflektieren zu können, wurden auch die Filme selbstbewusster. Man nahm regen Anteil an der wachsenden Souveränität der jungen polnischen, tschechischen, ungarischen, sowjetischen Regisseure und wollte dem nicht nachstehen. Was die französische nouvelle vague, das britische free cinema, was Antonioni, Pasolini und Fellini in Italien leisteten, wurde an der Babelsberger Filmhochschule und in den DEFA-Studios enthusiastisch debattiert. In Künstlerklubs in Ost-Berlin waren sowohl der erfahrene Billy Wilder als auch der junge, vielversprechende Andrej Tarkovskij zu Gast. Joris Ivens und Chris Marker ermunterten die Teilnehmer des Leipziger Dokumentarfilmfestivals, sich konsequenter und mutiger als bisher der Wirklichkeit zu öffnen. Tatsächlich brach sich, es klingt paradox, in dem nach außen hin streng abgeriegelten Land eine neue, mit internationalen Entwicklungen vielfältig verbundene filmische Modernität Bahn.

    Es ist hier nicht der Raum, komplex auf Ursachen und Wirkungen einzugehen, nur so viel: Das alles hatte natürlich mit Politik zu tun. Innerhalb der Führung der DDR hatte sich neben den Altkadern, die noch jede Entwicklung kritisch beäugten, eine junge Funktionärselite etabliert, der die Luft im Lande zu stickig geworden war und die für frischen Wind sorgen wollte: ökonomisch,

    indem den Betrieben mehr Raum zu Eigenverantwortlichkeit eingeräumt werden sollte (dieser Prozess nannte sich »Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung«); politisch, indem zum Beispiel der jungen Generation ein sehr viel größeres Selbstbestimmungsrecht als zuvor eingeräumt wurde (gestützt durch ein »Jugendkommuniqué«) oder indem die alte, stalinistische Gerichtsbarkeit durch einen neuen Rechtspflegebeschluss abgelöst wurde. Die Kunst wurde zur Triebkraft, Zeugin und kritischen Wegbegleiterin dieser Prozesse; so viele erregende Bücher, Theaterstücke, Gedichte oder Filme wie in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre hatte es im ganzen Jahrzehnt zuvor nicht gegeben.

    Freilich streckten die politischen Hardliner nicht ihre Waffen. Die Staatspartei SED (ihre vier Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei können wir hier vernachlässigen) zerfiel immer deutlicher in zwei Lager: das der vergleichsweise liberalen Reformer, an deren Spitze sich, von Moskau und dem dortigen Parteiführer Nikita Chruschtschow bekräftigt, Walter Ulbricht höchstselbst gestellt hatte; und das der Traditionalisten, die auf der »reinen Lehre« beharrten und jeden Versuch der gesellschaftlichen Modernisierung als »Revisionismus« denunzierten (Beispiele: Paul Verner, Erich Honecker oder der Leipziger SED-Chef Paul Fröhlich). Keine Frage, dass der gesamte Reformprozess der frühen 1960er-Jahre von herben Rückschlägen begleitet war, ähnlich wie in der Sowjetunion. Und als dort, in Moskau, die Hardliner wieder die Oberhand gewannen und Leonid Breshnew zum neuen Parteichef berufen wurde, musste dies auch gravierende Auswirkungen auf die Politik – und besonders die Kulturpolitik – der DDR haben.

    Weiter im Text von Ralf Schenk und zum Programm der Filmreihe (11. März bis 17. Juni 2015)